Von klein auf war ich mit meinen Eltern in den Alpen unterwegs. Allgäu, aber vor allem Vorarlberg, auch die Schweiz, später Südtirol. Als Kind ist einem die Gehzeit relativ egal. Irgendwann, wenn klein Erna müde ist, wird sowieso genörgelt, egal wie lange die Tour tatsächlich geht. Die klassische Frage „Wann sind wir da?“ oder „Wie lange geht’s noch?“ kennen alle Eltern. Trotzdem macht man sich um die Gehzeit keine Gedanken. Das Interesse von mir als 11-Jährige richtete sich maximal auf die Unterscheidung, ob wir eine Halb- oder Ganztagestour machen.
Für Familien ist die Gehzeit eine wirklich knifflige Angelegenheit. Sowohl die Zeit, die die Kinder tatsächlich gehen können als auch die, wie lange sie für die ausgewiesene Gehzeit tatsächlich brauchen.
Aber erst einmal zurück zu den Erwachsenen. Viele der von uns beschrittenen Wanderwege sind vom DAV ausgezeichnet. Aber egal, welcher Verein dies tat, wir hoffen jedes Mal, dass die Angaben auch passen.
Seit ich 10 Jahre alt war, wollten wir immer MIT Pausen schneller unterwegs sein, als dies ausgewiesen war. Dieser Ansporn war kein geplantes Vorhaben. Zunächst eher eine Feststellung und dann irgendwann einfach der Anspruch an uns selbst.
Üblicherweise sind die Gehzeiten, einfach (also Standort bis Gipfel oder eben Ziel (Hütte z.B.)) und ohne Pausen. Dies ist deshalb auch richtig so, da kein Wegeausweiser abschätzen kann wie häufig und wo Pausen eingelegt werden, also REINE GEHZEIT.
Auf vielen Wegweisern in den Bergen stehen daher Gehzeiten, welche an die DIN 33466 angelehnt sind:
- Zurückgelegte Wegstrecke im Aufstieg/ pro Stunde: 300 m im Aufstieg
- Zurückgelegte Wegstrecke im Abstieg/ pro Stunde: 500 m im Abstieg
- Zurückgelegte Wegstrecke Horizontalentfernung/ pro Stunde: 4 km
Die tatsächliche Gehzeit einer Strecke lässt sich dadurch errechnen, dass von den für Horizontal- und Vertikalentfernung errechneten Zeiten der kleinere Wert halbiert und zum größeren addiert wird.
Beispiele zur Berechnung der Gehzeiten
Beispiel für einen Aufstieg zum Gipfel
Thema | Info |
---|---|
Streckenlänge | 8 km |
Aufstieg | 900 hm |
- 900 hm Aufstieg = 3 Stunden (900 hm geteilt durch 300 hm/h)
- 8 km Streckenlänge = 2 Stunden (8 km geteilt durch 4 km/h)
- Kleinere Wert hier 2 Stunden, halbieren = 1 Stunde und zum größeren hinzuaddieren: 1+3 Stunden = 4 Stunden
Ergebnis: Die Gehzeit beträgt somit 4 Stunden.
Beispiel für eine Rundtour
Thema | Info |
---|---|
Streckenlänge | 8 km |
Aufstieg | 1500 hm | Abstieg | 1000 hm |
- 1500 hm Aufstieg = 5 Stunden (1500 hm / 300 hm/h)
- 1000 hm Abstieg = 2 Stunden (1000 hm / 500 hm/h)
- 8 km Streckenlänge = 2 Stunden ( 8 km / 4 km/h)
- Höhenwert: 5+2 = 7 Stunden
- Streckenwert: 2 Stunden (diesen weil kleinerer Wert halbieren = 1 Stunde)
- Werte addieren, 7+1 Stunde = 8 Stunden
Ergebnis: Die Gehzeit beträgt somit 8 Stunden.
Diese Berechnungen dienen, zuzüglich der angenommenen Pausen, als Richtwert für die Tourenlänge. Kennt man seine persönlichen Gehzeiten bergauf und bergab zuverlässig und weichen diese deutlich von den Richtwerten ab, so kann man selbstverständlich seine Berechnungen entsprechend anpassen.
Wir haben diesbezüglich beim DAV München angefragt und die nachfolgende Antwort erhalten:
Beim DAV erstellen die ehrenamtlichen Wegewarte die Angaben auf den Schildern. Sie verwenden dabei in der Regel keine Programme sondern nehmen Werte aus Karten und aus ihrer Erfahrung.
Darum gibt es individuelle Abweichungen zu der Gehzeit-Formel. Sie ist ein Richtwert, um den sich alle bemühen. Sie taugt für Wanderwege, die keine außergewöhnlichen technischen Ansprüche stellen. Jedoch nicht immer für sehr anspruchsvolle Touren.Die DIN-Formel ist für regelmäßige Wanderer eher langsam bemessen. Unsere Empfehlung an Wanderer ist darum, die persönliche Gehzeit mit der Beschilderung abzugleichen. Dann kann man ja ungefähr überschlagen, wie lange man selber für eine Tour braucht.
In der Schweiz und in Südtirol wurden die Gehzeitangaben für die Schilder mittels Geodatenbanken berechnet. Dort müssten die Angaben homogener sein als beim DAV.
Geht man nun mit Kindern ist das Ganze ungleich schwerer. Es müssen wesentlich mehr Eventualitäten eingeplant werden. Blasen an den Füßen, ein toller Gebirgsbach, an dem man nicht vorbei kommt und Staudämme bauen muss. Schlechtwetter, Wintereinbruch, Ziegenherden, die gestreichelt werden müssen.
Selbst wenn Kinder, weil von klein auf gewöhnt, recht gut in den Bergen unterwegs sind, muss man berücksichtigen, dass die oben genannten Gehzeiten den Kleinen völlig schnuppe sind und sie, wenn überhaupt erst im größeren Kindesalter Ehrgeiz diesbezüglich entwickeln.
Deshalb würde ich empfehlen, um die Nerven aller zu schonen, mit kleinen Kindern den Weg zum Ziel zu erklären und Zeit einzuplanen, um dem Echo zu lauschen oder mit den Murmeltieren um die Wette zu pfeifen. Ist die Begeisterung für die Natur und die Berge/ den Fels im Besonderen erst einmal geweckt, dann kommen die Höhenmeter und Kilometer irgendwann von selbst. Und wenn nicht, dann verkrault man sie mit zu viel Anspruch vermutlich nur frühzeitig.
Da ich persönlich am liebsten hoch, weit und lang wandern möchte, und mich genau diese Ungeduld immer wieder geplagt hat, habe ich irgendwann beschlossen (2016 waren die Kinder 8 und 10 Jahre alt) Touren von max. 5-6 Stunden Länge heraus zu suchen, die abwechslungsreich sind und den Kindern etwas bieten. Damit ist klar, egal wie viele Pausen wir machen, wir kommen als Tagestour wieder an. Also ist mal kein Zeitdruck. Zwischenzeitlich gehen unsere Kinder so schnell wie es die Routen angeben. Allerdings machen wir öfters Pausen und somit braucht’s dann doch immer länger. Aber ganz egal.
Es bringt nichts sich mit den Gehzeiten zu quälen! Grenzwertig lange oder knapp bemessene Gehzeiten anzunehmen macht nur Sinn, wenn man die Leistungsfähigkeit der Beteiligten genau kennt und auch ihre Leidensfähigkeit und Bereitschaft, es in reine Arbeit ausarten zu lassen.
Will auch nur einer der Mitwanderer aber lieber gemütlich wandern, mit ausgiebigen Blicken auf die Umgebung und ohne sich unnötig zu schinden, dann sollte im Sinne der Harmonie und auch der Sicherheit Rücksicht auf das langsamste Glied genommen werden. Nur so erinnern sich alle später noch gern an genau diese Wanderung!